2005.

Helene erwachte von dem stotternden Husten des Toyotas. Wo wollte Arno mitten in der Nacht hin? Sie schob das schwere Plumeau beiseite, knipste die Heizdecke aus. Sie hatte Bauchschmerzen. Trotzdem. Hier stimmte was nicht. Vom Fenster aus sah Helene, wie die Rücklichter im Nieselregen verschwammen, langsamer wurden, stehen blieben. Der Kindergarten?

Helene lief zur Haustür. Ihr Blick blieb an der Garderobe hängen. Wo war Thorstens Regenjacke? Sie öffnete die Kommode. Sein Basecap. Die Knieschoner, der Fahrradhelm. Seit Jahren unberührt, aber festes Inventar des Flurs. Helene schleppte sich ins Kinderzimmer. Nackte Regale. Schreibtisch, Schrank, Fensterbrett. Als wäre er nie hier gewesen, hätte nie hier gelebt, als wäre das alles nicht seins gewesen. Im Bad, das Haargel, das beißende Sport-Deo, das sie immer gehasst hatte, Kontaktlinsenbehälter. Alles weg.

Helene zog sich ihren Mantel an, langsam, alles schmerzte. Dann noch einen Regenmantel. Sie fror erbärmlich, vermisste ihre Haare. Ärgerlich zog sie die Pudelmütze auf und wickelte die Sofadecke um sich. Mit kleinen Schritten lief sie los. Jetzt bloß nicht brechen! Sie pausierte, stützte sich ab, spürte den Schmerz durch ihren Körper wüten. Verdammte Chemotherapie. Verdammte wirkungslose Schmerzmittel.

Der Toyota kam ihr entgegen. Hatte er sie wirklich nicht gesehen? Sie schlurfte weiter. „Achtung, enthält Asbest“. Würde er…? Helene hob die Plane. Erinnerungen unter dünnem Plastik. Gesammelte Schätze, liebevoll von Helene aufbewahrt. Es war doch alles, was ihr blieb. Thorstens erstes Faschingskostüm. Er war so ein niedlicher kleiner Indianer gewesen. Die malvefarbene Umstandshose hatte ihr nur ganz kurz gepasst. Stapel von Fotos, die sie seit Jahren hatte einkleben wollen. Thorstens Deo. Sie sprühte ein wenig davon in die nasse, gelbliche Winterluft und schnupperte. Es stank immer noch.

Sie kühlte aus. Zitternd zerrte sie den ersten Sack aus seinem Metallgrab, nahm ihn wie ein müdes Kleinkind auf den Arm und ging nachhause.

Um vier Uhr morgens hatte sie alle Schätze in Sicherheit gebracht.


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