SIEBZEHN. Arno

Er hat mich so angeschaut. Dazu muss ich sagen, das Arno sehr helle, blaue Augen hat, die von sehr dunklen, langen Wimpern umkränzt sind – oben und unten. So wie diese kitschigen Porzellanpuppen. Das gibt ihm, selbst jetzt, wo er ein erwachsener Mann ist, immer noch so einen verletzten Kinderblick. Man möchte sich ganz nah vor ihn stellen und schauen, ob nicht vielleicht eine Träne in diesen dicken Wimpern hängt. Glauben Sie mir, ich habe oft genug nachgeschaut, da hängt nie eine Träne drin. Arno neigt eher zu trockenen Augen. Das liegt vermutlich daran, dass er ständig am Computer sitzt und auf fremde Steuererklärungen starrt. Ich glaube ja, er fühlt sich dabei wie ein Sheriff, der bösen Buben auf die Schliche kommt. Vermutlich ist er darum zum Finanzamt gegangen! Um ein Held zu sein, auf seine vorsichtige, korrekte Art, natürlich.

Wir saßen also bei unserer ersten echten Verabredung im Café und er schaute mich so an. Ich denke, er war da schon in mich verliebt. Er war unnatürlich angespannt und hat ständig auf die Uhr geschaut – das konnte ich damals gar nicht verstehen. Erst bei unserer Hochzeit hat er mir gestanden, dass er alles minutiös geplant hatte. Das Café vorher besucht, den Kuchen probiert, die Bedienung abgefragt, den Weg in den Park abgelaufen, den Wetterbericht studiert, Gesprächsthemen recherchiert und – Tage vorher – passende Kleidung gebügelt und bereitgelegt. Und dann, sicherheitshalber, noch eine zweite Garnitur. In den ersten Jahren fand ich dieses Geplane unglaublich praktisch. Schneesturm, Börsencrash, Invasion von Außerirdischen – Arno konnte durch nichts überrascht werden. Ich dachte, das ist seine Art, sich um mich zu bemühen. Heute sehe ich das etwas anders.

Arnos Vater war ein Säufer. Hat die Mutter geprügelt und ist abgehauen, als Arno sechs war. Vielleicht muss er darum immer alles kontrollieren. Vielleicht sieht er auch darum bis heute wie ein verlassenes Kind aus. Nur ohne Tränen.