Heiligabend.

Konfirmandin Nr. 1 stand an der Tür und verkaufte Eintrittskarten. 25 € pro Person. „Musicalkarten sind teurer“, versicherte Astrid Schäufele einem brüskierten Gemeindemitglied. Orgel. Blockflöte, Begrüßung. Der Ton war grauenvoll, das Licht flackerte. Scheinwerfer, Mikrofon und Trockenhaube: Alles hing an einer einzigen Mehrfachsteckdose, die sich aus einem vielfach verlängerten Kabel speiste. Auftritt Konfis.

Der Zahnspangenträger trat ins Scheinwerferlicht. „Begrüßung und festliche Einstimmung“ hatte Arno ihm säuberlich auf eine Karteikarte geschrieben. „Jetzt mal Ruhe alle! Handys aus, sonst sammelt die Schäufele sie ein und vertickt sie aufm Neujahrsbasar!“ schrie er freundlich. Verstörtes Schweigen. Hildegard Lükers schob ihr Smartphone verstohlen in den Stiefel. „So, wo war ich? Es begab sich aber zu der Zeit, dass dem Kaiser Augustus ein Gebot ausging, …“

„So, wo war ich? Es begab sich aber zu der Zeit, dass dem Kaiser Augustus ein Gebot ausging, …“

Erste Szene. Der bebrillte Engel trat auf. Er starrte wie hypnotisiert ins Publikum und begann dann, hysterisch zu kichern. „Maria ich verkündige dir…?“ Arno gab der Souffleuse, Konfirmandin Nr. 2, einen Wink. Sie winkte zurück. „Hilf ihm mit dem Text!“, zischte Arno. „Ach so“, sagte die Souffleuse laut und begann, auf ihrem Handy zu scrollen. Sie durchsuchte den Chatverlauf der Gruppe „Superkonfis 21“. „kündige“ – da! „Der Tiedemann ist so unfähig, der wird garantiert noch vor Nikolaus von der Terrorschaufel gekündigt oder gepfählt!“ las sie laut vor, bevor sie bestürzt auf ihr Handy starrte. In den vorderen Reihen waren Lacher zu hören. Panisch scrollte sie weiter.

Arno gab der Souffleuse, Konfirmandin Nr. 2, einen Wink. Sie winkte zurück.

Maria, dargestellt von dem Skater in Helenes malvefarbener Umstandshose, beschloss, zu improvisieren. „Ach du Scheiße, ich bin schwanger! Dabei hatten Josef und ich doch so aufgepasst!“ kreischte er mit verstellter Stimme. Der Engel stand weiter kichernd auf der Bühne, bis die Hirten ihn wegschubsten. „Wer seinen Text nicht kennt, hat hier auch nicht rumzustehen!“ dröhnte der Zahnspangenträger. „Wir Hirten sind zur Krippe gekommen, denn wir haben die Kunde vom Sohne vernommen!“ Arno atmete auf. Wenigstens einer konnte seinen Text.

Stammelnd, scrollend und improvisierend hangelten sich die restlichen Konfis zur finalen Szene durch: Die Hirten lungerten in geheuchelter Ergriffenheit („Hier inmitten von Stroh und Vieh beugen demütig wir die Knie“) vor dem Rasenmäher-Auffangbehälter herum, der Energy-Drink hatte sich die Puppe über die Schulter geworfen und tätschelte klatschend den Plastikrücken. Es wurde still. Die Konfis starrten suchend in die erste Reihe, wo Arno saß. „Ähm… Herr Tiedemann! Wie geht die Geschichte nochmal aus?“ zischte der Skater vom Rand der Bühne herunter. Ja, wie? Eigentlich sollte Murat singen und der Vorhang fallen. Doch der Alpha-Hirte saß verschämt im Publikum. Arno blickte hilfesuchend zur Souffleuse. „Der Text ist zu Ende!“ zischte diese. „Der Text ist zu Ende!“, rief die Zahnspange theatralisch, und, weil ihm das als Schlusswort nicht ausreichend erschien: „…aber Weihnachten noch lange nicht!“.

Konfirmandin Nr. 3 schaltete den Scheinwerfer aus. Betretenes Schweigen, ein paar Leute klatschten erleichtert. Arno suchte mit den Augen den Notausgang. Es gab keinen. Typisch Kirche.


Astrid stieg auf die Bühne, Glitzerkleid, Scheinwerfer an. Sie entblößte ihre spitzen Reißzähne. „Unsere Konfis, meine Damen und Herren! Des war WUNDERBAR! Da habt ihr euch einen Riesenapplaus verdient!“ Artig klatschte die Gemeinde erneut. „Ich möchte Ihnen heute Abend noch von einem zweiten Wunder berichten.“ Neckische Pause, war das die Überleitung zur Predigt? „Ich darf Ihnen mitteilen, dass die benötigte Spendensumme in Höhe von 35.000 Euro heute Abend erreicht worden ist!!!” Etwas schepperte. Es war der Spiritus-Kanister, den Helene schwungvoll auf dem Kirchboden abgestellt hatte. Schweigend stellte sie sich neben ihre Freundin und streckte die Hand aus. Überrumpelt reichte diese ihr das Mikrofon.

„Danke.“ Helenes Stimme war schleppend und kehlig vom Alkohol. „Danke Astrid. Danke Arno. Das Stück passt super zu… allem. Es war… sauschlecht. Noch schlechter, als ich erwartet hatte. Sehr sehr schlecht.“ Astrid fasste Helene am Arm. Die umklammerte das Mikrofon fest und sprach weiter. „Weihnachtswunder, ja? Das nennst du Wunder? 35.000 aus der Gemeinde gepresste Euros und ein grottenschlechtes Weihnachtsstück mit leibeigenen Konfirmanden! Hör bloß auf, mir diese trostlose Horrorshow als Wunder zu verkaufen!“ Sie lachte höhnisch.

Hör bloß auf, mir diese trostlose Horrorshow als Wunder zu verkaufen!

„Aber wir können ja nicht ohne, also machen wir selbst eins, ne, Santa Arschtritt?“ Sie funkelte die Pastorin an, die wieder ihre Hand nach dem Mikrofon ausgestreckt hatte. „Wir manipulieren und op…mitieren und dekorieren, damit keiner merkt, dass wir alles vermasselt haben. Oder? Du hast gedacht, du kannst die Versicherungspolice sparen, Astrid! Jetzt ist die halbe Kirche abgefackelt und da brauchst du natürlich ein kleines Wunder!“ Helene wankte, hielt sich aber an der Trockenhaube fest. „Aber weißt du was? Du hättest dir die Mühe sparen können! Weil… am Ende entpuppen sich die ganzen selbstgemachten Wunder als Schrott!“ Sie blickte suchend in das dunkle Publikum. „Es ist egal, wie wir es anstellen, es… es reicht einfach nicht! Es reicht nicht… damit alles gut wird. Oder wenigstens ein bisschen gut.“ Astrid verließ leise die Bühne. Auf allen Vieren tastete sie im Dunkel nach dem Kippschalter der Mehrfachsteckdose. Helene bemerkte es nicht.

„Jetzt ist alles nur Schrott, Arno, genau wie euer grottiges Stück.“ Arno konnte die Augen nicht von seiner Frau wenden. Sie kam ihm so verletzlich vor, allein und besoffen auf dieser kalten Bühne. Helene schaute die Zuschauermenge böse an. „Wer glaubt jetzt noch an Wunder? Na??“ Sie trat neben den Rasenmäher-Auffangbehälter und angelte die Baby-Born heraus. Der Saal raunte. Ein mutiger Konfirmand meldete sich. Helene schaut die Puppe an. Leise fragte sie: „Welcher Vater jagt seinen Sohn in so eine Scheiß-Welt hinaus?“ Es war unklar, über wen sie redete. „Warum, Herrgottnochmal, macht einer sowas?“ Ihr harter Blick traf Arnos weichen. Alles war gesagt. Die Kirche wurde unendlich still. „Du liebst mich, oder?“ Dann wurde es dunkel. Astrid hatte den Kippschalter gefunden.


Ende


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