„Jörn ruft gleich zurück, er kocht gerade noch.“ Mein erstes Interview startet ungewöhnlich – vor allem, wenn man bedenkt, dass es 8.45 Uhr am Morgen ist und dass mein Interviewpartner bis vor nicht allzu langer Zeit als Führungskraft im Investmentbanking gearbeitet hat. Ungewöhnlich ist auch das Modell, das Jörn (51) und Heidrun (42) leben. Sie haben gespart, bis sie es finanzieren konnten, dass er, der bisherige Hauptverdiener, als Hausmann die vierköpfige Familie versorgt – während sie als Intensiv-Krankenschwester Covid-19-Patienten pflegt.

Jörn, du hast Physik studiert und bei einer großen Bank Karriere gemacht. Wie bist du darauf gekommen, auszusteigen?

Die Idee entstand in einer Kneipe – und es gab sie schon, bevor ich Heidrun kennen gelernt habe. Ich habe damals sehr viel gearbeitet, locker 60-70 Stunden in der Woche. Die Überstunden wurden bezahlt. Ein Kollege und ich haben aus Spaß ausgerechnet, dass wir mit 45 genug verdient haben würden, um bei einem einigermaßen sparsamen Lebensstil nicht mehr arbeiten zu müssen. Dass ich Hausmann werden würde, konnte ich damals noch nicht ahnen.

Wie kam es denn dazu?

Das hat mit einem Experiment begonnen. In den ersten Jahren nach der Geburt unserer Kinder war Heidrun zuhause und hat den Haushalt geschmissen. Aber ihr ging es damit nicht gut. Da habe ich mir zwei Wochen Urlaub genommen und alle Tätigkeiten erledigt, die sie sonst tut.

Um sie zu entlasten?

Nein, um zu ermitteln, ob mich die Hausarbeit genauso belastet.

Und, hat es?

Nein! Mich kotzt es zumindest weniger an als Heidrun. Ich liebe es, mir meine Zeit selbst einteilen zu können. Und ich genieße die Zeit mit meinen Kindern. In diesem Experiment zeichnete sich ab, dass ich mittelfristig die Familienarbeit machen würde und Heidrun in ihren Beruf zurückgeht. In einem ersten Schritt habe ich meine Arbeitszeit auf 80% reduziert.

Das war 2012. Das war damals (und auch heute) doch sicherlich ein ungewöhnlicher Schritt für eine Führungskraft. Was hat dein Chef gesagt?

„Nein!“ (lacht). Aber dabei muss man es ja nicht belassen. Ich wusste: Wenn er dazu „Nein“ sagt, sagt er „Ja“ zu etwas anderem. Und ich musste herausfinden, wozu. Wir konnten dann klären, dass er hauptsächlich fürchtete, dass ich keine Zeit mehr für die Mitarbeiter meines Teams habe. Also sagte ich zu, mein Handy an meinem freien Tag anzulassen.

Und das hat geklappt?
Sehr gut sogar. Ich habe meine Zeit gemanagt und mich bei Smalltalk, Pausen und Messebesuchen zurückgehalten. Damit kam ich stundenmäßig gut hin und habe meine Arbeit trotzdem geschafft. Mein Chef war zunächst nicht überzeugt, hat seine Haltung aber später geändert.

Aber die Teilzeit war nur Schritt eins auf dem Weg zu eurem Wunschmodell.

Richtig. Ich hatte unseren finanziellen Bedarf beobachtet und damit errechnet, wie viel Geld wir bis zu unserem 87 Lebensjahr brauchen würden. Mein Ziel war es, zu sparen, bis wir es uns leisten können, dass ich zuhause bleibe während Heidrun in Teilzeit arbeitet.

Wie das?

Wir kaufen vieles gebraucht, zum Beispiel über Kleinanzeigen. Wir haben kein Haus gekauft und nie ein neues Auto gefahren. Manche Leute sagen: „Ihr lebt sehr sparsam“. Aber ich sage: Wir leben achtsam. Dafür haben wir Zeit für die Dinge, die uns wichtig sind.

Wie sehen eure Kinder diesen Lebensstil?

Als meine Tochter neun war, wollte sie unbedingt ein Tablet haben, weil ihre Freundinnen auch eins hatten. Ich habe sie gefragt, ob die Papas ihrer Freundinnen denn abends am gemeinsamen Abendessen teilnähmen. Sie kam ganz aufgewühlt am nächsten Tag aus der Schule und berichtete, dass die anderen Väter nur am Wochenende Zeit mit ihren Kindern verbringen. Ich habe sie gefragt, ob sie lieber ein Tablet haben möchte oder lieber einen Papa, der Zeit für sie hat. Da hat sie ohne zu zögern den Papa gewählt. Puh! (lacht).

Und irgendwann wart ihr am Ziel.

Fast. Ende 2018 hatte ich nach einer Umstrukturierung die Chance, mit einer Abfindung die Bank zu verlassen. Da waren wir noch nicht an unserem Sparziel angekommen. Ich habe nochmals gerechnet und entschieden: Ich mache das jetzt. Heidrun hat zunächst großen Druck empfunden, aber wir merkten irgendwann, dass es funktioniert. Jetzt arbeitet sie mit einer 80% Stelle. Mit diesem Modell geht es uns beiden gut.

Wie hat euer Umfeld darauf reagiert, dass du jetzt Hausmann bist und Heidrun berufstätig ist?

Die meisten total positiv. Für meinen Vater war es zunächst schwer, unser Modell zu akzeptieren. Für ihn war ich damit ein Sozialschmarotzer. Natürlich ist das Konzept ungewöhnlich. Aber normal sein ist auch langweilig! Aus meiner Zeit im Investmentbanking weiß ich: Wenn man nur das tut, was alle machen, ist man eben nur durchschnittlich.

Was ist dein Tipp an Väter, die gern mehr Zeit mit ihren Kindern verbringen möchten?

Erstens: Es lohnt sich, mit den Chefs offen zu sprechen und auch seine Position zu verstehen. Zweitens rate ich Familien, einfach mal ein Experiment zu starten, um auszuprobieren, ob eine andere Aufgabenverteilung besser zu den Bedürfnissen der Familie passt.

Was meinst du, was sind heute die zwei Fragen einer Frau?
Hm. Schwierig. Das hängt sicherlich auf von der Lebensphase ab. Ich glaube, das Thema „Wie vereinbare ich Familie und Beruf“ ist wichtig. Und die Frage „Wie finde ich Gehör für meine Bedürfnisse, bzw. wie setze ich sie durch?“. Ich glaube, viele Frauen treten noch nicht stark genug für das ein, was sie wirklich wollen. Das sieht man ja an der Ungleichverteilung der Gehälter.

Vielen Dank für das Gespräch!

Ein Satz zum Schluss:

Ich habe auch mit Heidrun gesprochen, um ihre Perspektive kennen zu lernen. Ihr war es wichtig zu sagen, dass das Modell „Sparen, bis der Hausmann kommt“ zunächst nur Jörns Idee und Ziel war. Und dass es jetzt trotzdem gut so ist.

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