Helene und Arno rannten zur Tür. Thorsten stand davor.

Ein älterer, dickerer Thorsten, mit Fältchen in den Augenwinkeln. Aber ein Thorsten. Ihr Sohn! In der einen Hand trug er einen Motorradhelm, in der anderen eine Amaryllis in Zellophan, die er Helene unbeholfen entgegenstreckte. „Für dich.“ Helene weinte und lachte, während sie den fremden Sohn in ihre Arme zog. Arno stand im Flur und musste an Thorstens Geburt denken. 27 Stunden, Dammschnitt; dann war er da. Helene hatte der Hebamme dieses klebrige, bleiche und verquollene Stück Mensch aus der Hand gerissen, es an sich gedrückt und geküsst, getröstet. Arno hatte unbeweglich danebengestanden und ihr zugesehen. Seiner Frau, so verletzt. So bereit, zu lieben. Er hatte zuerst sie geliebt, später das Baby.  

Jetzt stand er wieder daneben. Wie hatte er diesen Moment gefürchtet und herbeigesehnt! Helene und Thorsten waren jetzt in der Küche. „Thorsten bleibt über Nacht“ sagte Helene mit roten Wangen. „Na, alles andere wäre jetzt auch kaum machbar“, sagte Arno. Es sollte scherzhaft klingen, ohne Erfolg. Sie bauten ihrem Sohn ein Bett auf dem Sofa. Das Kinderzimmer gab es nicht mehr, da befand sich jetzt Arnos Büro. Helene entschuldigte sich wortreich, während sie Decken und Kissen und die gute Batist-Bettwäsche heranschleppte. Thorsten nickte. Natürlich, da gab es das kleine Gästezimmer unter dem Dach, aber das war stickig und außerdem war Arno dort vor über sieben Jahren eingezogen.

Natürlich, da gab es das kleine Gästezimmer unter dem Dach, aber das war stickig und außerdem war Arno dort vor über sieben Jahren eingezogen.

Es war fast zwei Uhr morgens, als Arno sich in seine Dachkammer zurückzog und auf das schmale Gästebett legte. Wie ging es jetzt weiter? Er hörte pantoffelgedämpfte Schritte auf der Leiter. Helene quetschte sich neben ihren Mann auf das schmale Gästebett. Eine ganze Weile lagen sie da und starrten im Dunkel auf die Astlöcher in den Paneelen. „Er hat sich entschuldigt“, flüsterte Helene schließlich. „Das ist gut, oder?“ Arno hob den Kopf. „Wofür denn?“ „Na, für die Sache mit den Drogen und für so eine Geschichte mit der Medizin. Das wusste ich gar nicht mehr.“ Sie gluckste. „Er wird sein Asthma-Spray auf dem Schulhof verkauft haben… Armer Kerl! Er muss echt verzweifelt gewesen sein.“ Helenes Haare rochen nach warmem Kuchen. Arno wollte, dass sie blieb. Er lag ganz still. „Aber er hat es aus eigener Kraft geschafft! Er hat sich verlobt und gemeinsam wollen sie eine Beratungsstelle aufbauen, für obdachlose Kinder in Chile! Ich habe ihm schon gesagt, dass wir das natürlich unterstützen werden.“

„Er hat um Geld gebeten? Wieviel?“

Sie schwieg kurz. „Ach Arno. Fang‘ doch nicht wieder damit an.“

Sie stand auf. Das Bett quietschte jämmerlich.


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