Zwei Fragen und ein Missverständnis

Ein Untertitel über das, was Frauen wirklich wollen.

Ich habe mich schwer damit getan, einen Namen für diesen Blog zu finden. „Spagathe“ stand schnell fest. Aber ein Untertitel sollte erklären, worum es hier geht. Nicht um Gymnastik. Nicht um Zirkus, nicht um Wellness. Sondern um die Frage, wie eine Frau mit Kindern und Beruf heute gut leben kann.

Vorerst lautet mein Untertitel: „Die zwei Fragen einer Frau“. Er kommt (wie so vieles, das zwar praktisch, aber nicht wirklich gut ist) von Doktor Oetker.

Ein Pudding löst die die meisten Probleme einer Frau.

„Wir wissen ja: Eine Frau hat zwei Lebensfragen: ‚Was soll ich anziehen?‘ und ‚Was soll ich kochen?‘“. Dieser Satz stammt aus einem Werbefilm für… Pudding! Was 1954 durchaus öffentlich sagbar war, bringt heute nicht nur Kampfemanzen auf die Palme. Denn der Satz reduziert Frauen auf zwei Kompetenzfelder: hübsch sein und kochen.

Fairerweise hier der Kontext des anstoßerregenden Textes: Unter dem Titel „Wenn man’s eilig hat“ begleitet der Pudding-Werbespot die junge Sekretärin Renate. Ein männlicher Sprecher kommentiert in jenem sonoren und leicht süffisanten Tonfall, der in den 50’ern angesagt war, die Geschehnisse: Renate erhält noch kurz vor Dienstschluss einen Auftrag zum Abtippen und kommt dadurch um ein Haar zu spät nachhause. Dort muss sie blitzschnell kochen, weil ja gleich ihr Mann, der hungrige Peter, eintrudelt. Tja, denn wenn der hungrige Peter da ist, muss das Essen auf dem Tisch stehen. Darum hat die Renate ganz schön viel Stress. Aber mit einem Pudding macht sie nicht nur ihren Gatten (und Dr. Oetker) glücklich, sondern zeigt auch ihre Kompetenz als erfolgreiche, moderne Frau in der 50er-Jahre-Welt von vorgestern: Sie sieht toll aus und hat ein Essen für ihren Mann gezaubert – Bravo!

Ausschnitt aus Dr. Oetker-Werbeclip

Auch die Renates der Gegenwart führen ein anstrengendes Doppelleben

Werbespots wie diese kommen uns auf den ersten Blick uralt vor – als hätten sie nichts mehr mit unserer heutigen Realität zu tun. Ist das der Fall?

Wenn ich mich in meinen Lebensalltag umschaue, sehe ich immer noch ziemlich viele Renates.

Wenn ich mich in meinen Lebensalltag umschaue, sehe ich immer noch ziemlich viele Renates. Es sind die Teilzeit-Mütter, die gestresst zwischen Büro, Kita und Haus hin- und her hetzen. Sie erledigen nach wie vor den Großteil der Hausarbeit und suchen nach Lösungen, um diesen Spagat irgendwie erträglicher zu gestalten. In den 50’ern waren Tütenpudding und Waschmaschine der heiße Scheiß für die berufstätige Gattin. Heute sind es vermutlich eher HelloFresh, die Randzeitenbetreuung oder der Staubsaugerroboter. So unangenehm es uns scheinen mag: So richtig viel weiter sind wir in Sachen Vereinbarkeit seit Frau Renates Tütenpudding-Spot nicht gekommen.

Zurück zu Doktor Oetker. Der Spot richtet sich an Frauen, ist aber eindeutig von Männern geschrieben. Und die hatten das Dilemma der modernen Frau nicht verstanden. Denn Renates Frage dürfte doch viel eher gelautet haben: Wie soll ich das alles schaffen? Woher die Zeit nehmen, damit es meiner Familie und mir gut geht?

Und wisst ihr was? Genau das frage ich mich auch.

Insofern hat der Spot durchaus Relevanz für unsere Zeit. Ich finde die Frage nach den Lebensfragen einer Frau hochinteressant. Nach wie vor habe ich das Gefühl, dass Jeder genau zu wissen glaubt, was Frauen in Wahrheit wollen: Politik, Wirtschaft, Lifestyle-Anbieter, Frauenmagazine, Sexshopbetreiber, Ehemänner,… Aber nur selten wird die Frage ehrlich gestellt.

Daher der Titel. Spagathe und die Fragen einer Frau. Ich glaube, ich ändere ihn noch.

„Kinder? Da denke ich zuerst an hohe Kosten!“

Muttersein in den USA: Ein Interview über teure Kitas, in Vollzeit arbeitende Mütter und die Frage nach der Gerechtigkeit im Haushalt

In den USA hat Präsident Biden gerade das Kindergeld eingeführt. Rund 300 Dollar bekommen Eltern im Monat pro Kind. Zunächst nur für ein Jahr, als Teil eines Corona-Hilfspakets. Ein vielumstrittenes Projekt ‑ und für mich ein Anlass zu fragen, wie es auf der anderen Seite des großen Teichs mit der Vereinbarkeit aussieht. Ich spreche mit einer guten Freundin. Kelly und ich kennen uns aus Berlin, mittlerweile ist sie mit ihrer Familie zurück in die USA, nach Michigan, gezogen. Die Fremdsprachenlehrerin und vierfache Mutter hat mir von ihren Erfahrungen berichtet und mir Einblicke in das Leben als Familienfrau in den USA gegeben.

Mein zweites Interview startet mit… Neid. „Meine Eltern sind geimpft und wir können uns ab nächster Woche auch einen Termin machen!“ freut sich Kelly Anfang April. Was das Impfen angeht, sind uns die USA wohl ein gutes Stück voraus. Wie sieht es in Sachen Vereinbarkeit aus?

Kelly, du bist eigentlich Englischlehrerin, betreust aber momentan deine Kinder im Alter zwischen einem und sechs Jahren zuhause – als „Stay at home mum“. Ist das Thema „Job“ für dich im Moment eigentlich relevant?

Klar. Für mich stand immer fest, dass ich nach den Geburten meiner Kinder wieder arbeiten werde. Aber jetzt, mit vier Kindern, frage ich mich, wie und wann und in welchem Umfang ich wieder in den Job einsteigen kann. Jetzt im Augenblick ist es utopisch.

Warum?

Die Kinderbetreuung („daycare“) ist extrem teuer. Wenn ich drei Kinder in die Kita bringe, müsste ich definitiv Vollzeit arbeiten, damit es sich finanziell lohnt. Das ist aber schwierig, denn unsere älteste Tochter ist ja schon in der Schule – und die endet um 15.00 Uhr, macht drei Monate Sommerferien und ist bei Schnee geschlossen. Und auch wenn die Kinder krank sind, müsste einer von uns zuhause bleiben – und das sind eben meist wir Mütter. Insofern ist es im Augenblick einfacher, wenn ich zuhause bleibe und wir sparsam leben. Für mich passt es im Augenblick auch: Der Alltag mit den Kindern macht mir Spaß.

Daycare in den USA: In Alabama kostet sie 500 Dollar im Monat, in California fast 1000 Dollar und Washington DC über 2.000 US-Dollar im Monat. In vielen Fällen ist die Kinderbetreuung teurer als die Miete.

Quelle: Economic Policy Institute, https://www.epi.org/child-care-costs-in-the-united-states/

Warum ist die Kita so teuer?

Sie ist eben kaum staatlich gefördert. Das schafft viel Ungleichheit. Denn wer viel bezahlen kann, schickt seine Kinder in eine Top-Einrichtung mit gut qualifiziertem und motivierten Personal. Wer weniger gut verdient, muss eine schlechtere Kita wählen. Und es sind ja nicht nur die Kitas, die Eltern viel Geld kosten: Auch die Uni ist unfassbar teuer. Viele Eltern beginnen ab der Geburt des Kindes, für die Hochschule zu sparen. Auch darum arbeiten viele Mütter schnell wieder in Vollzeit.

Wow. In Deutschland arbeitet höchstens ein Fünftel der Frauen mit Kindern unter sechs Jahren mehr als 35 Stunden pro Woche. (Stand 2018[2])

Das ist hier anders. Ich kenne viele Mütter mit Kleinkindern, die in Vollzeit arbeiten.

In den USA arbeiten über 77 Prozent der Mütter mit Kindern unter sechs Jahren in Vollzeit.

Quelle: U.S. Bureau for Labor Statistics, Employment Characteristics of Families Summary (bls.gov)

Wie sieht das Familienleben aus, wenn beide Eltern voll arbeiten? Hier in Deutschland sind Mütter ja stark belastet, weil sie „nebenbei“ einen Großteil der Familienarbeit erledigen.

Die Hausarbeit ist in den meisten Familien auf jeden Fall besser aufgeteilt, als es noch in der Generation unserer Eltern der Fall war. Wenn beide Eltern arbeiten, muss Manches ausgelagert werden. So haben zum Beispiel viele Familien eine Putzkraft. Mittlerweile verstehe ich auch, warum es hier so viele Fast Food-Läden („Take Away“) gibt: Viele berufstätige Eltern bringen das Abendessen einfach auf dem Nachhauseweg mit. Das ist hier wirklich verbreitet.

Umfragen zeigen: Auch in den USA übernehmen die Frauen noch den größeren Teil der Hausarbeit – aber das Verhältnis ist bei weitem nicht so unausgewogen wie hier. Eine Befragung zeigt, dass in 51% der Haushalte die Frau den größten Teil der Putzarbeit übernimmt. 9% der Befragten gab ab, dass der Mann den größeren Teil daran erledigt. Und in 37% ist die Reinigung des Hauses zwischen beiden gleich aufgeteilt.

Quelle: Women Still Handle Main Household Tasks in U.S. (gallup.com)

Steigen Mütter gleich nach der Elternzeit wieder zu 100% in ihren Job ein?

Elternzeit? Hier gibt es keine Elternzeit! Entsprechend fangen viele Frauen nach sechs oder zwölf Wochen wieder zu arbeiten an. Manche sparen ihre Krankentage über das Jahr an, um nach der Geburt mehr Zeit mit ihrem Baby verbringen zu können. Wenn ein Arbeitgeber der Mutter 12 Wochen zuhause ermöglicht, ist das schon sehr gut.

Elternzeit! Gibt’s hier nicht! Wenn eine Mutter 12 Wochen zuhause bleiben kann, ist das schon sehr gut.

Wow. Keine Elternzeit. Immense Kosten. Der Druck, Vollzeit zu arbeiten – das macht ja nicht gerade Lust auf Familie…

Kelly lacht. Ja. Es ist sehr teuer, Kinder zu haben. Trotzdem ist es für die meisten jungen Menschen ihr großer Wunsch.

Vielen Dank für das Gespräch!

Mich erfüllt das Interview für einen kurzen Moment mit Dankbarkeit. Hier in Deutschland gibt es – zumindest in der Theorie – deutlich mehr unterstützende Strukturen für Familien: den Rechtsanspruch auf zeitlich begrenzte Teilzeit. Elterngeld. Mutterschutz. Familienversicherung. Bezahlbare Kitas (über die Qualität lässt sich diskutieren). Trotz all dieser Strukturen ist die Vereinbarkeit in Deutschland keine Erfolgsstory. Warum bloß? Ich werde weiter fragen.

Spannend finde ich, dass Kelly und ich trotz völlig unterschiedlicher Rahmenbedingungen im Augenblick ein ähnliches Modell leben: Wir sind beide zuhause und betreuen unsere Kinder, während unsere Männer voll berufstätig sind. Wir sind beide Akademikerinnen und lieben unsere Jobs (von weitem). Aber: Anders als Kelly habe in Deutschland einen Anspruch darauf, in Teilzeit wieder ins Berufsleben einzusteigen und die Stundenzahl nach und nach hochzuschrauben. Und verschulden muss ich mich für ihre Ausbildung auch nicht. Immerhin.

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[2] Quelle: Bundesministerium für Familie: (Existenzsichernde) Erwerbstätigkeit von Müttern. Konzepte, Entwicklungen und Perspektiven: (Existenzsichernde) Erwerbstätigkeit von Müttern (bmfsfj.de). Stand 2018. Die Zahlen entstammen einer Mikrozensussonderauswertung, Berechnung Prognos AG.

Warum bloggt hier eigentlich keiner?

Hier ist es verdächtig still…

Bei anderen Blogs, die ich lese und schätze, bedeuten längere Blogging-Pausen in der Regel, dass im Hintergrund ein geniales neues Projekt aufgezogen wird. Ein eigener Shop. Ein Buch. Ein Online-Kurs.

Nicht so hier. Hier wird im Hintergrund einfach nur überlebt. Die Kita ist seit drei Wochen wieder im Notbetreuungs-Modus. Ich schleiche ums Büro und werfe meinem Laptop verlangende Blicke zu. Ich habe immer einen Bleistift in der Hosentasche, falls mir eine geniale Idee für einen Artikel kommt. Aber mit drei kleinen Kindern, die durchs Haus springen, komme ich zu nichts. Wirklich nichts. Nicht mal zum denken.

Kreativ trotz völliger Erschöpfung: Wie schaffen andere Bloggerinnen das?

Das führt mich zu der Frage, wie all die anderen Mama-Bloggerinnen es schaffen, regelmäßig traumhafte Bilder und knackige Texte in diesen verdammt nochmal irren Zeiten zu posten.

Ich habe nachgeschaut: Bloggerinnen sind laut Liste nicht systemrelevant. In keinem Bundesland. Sprich, die anderen bloggenden Mamas haben auch keinen Anspruch auf Kitabetreuung. Obwohl so guter Post durchaus Leben retten kann (und vermutlich auch das eine oder andere Leben gerettet hat). Also, wie geht das?

Sperren sie ihre Kinder für ein paar Stunden in den Keller, räumen schnell auf, knipsen das Resultat und lassen die Bande danach wieder durchs Haus wüten? Sind Drogen im Spiel? Ich meine, andere als Kaffee und Schokolade? Schlafen sie nicht? Wo sparen sie die Zeit zusammen, um ihre eigenen Projekte zu realisieren. Und wie kann man bei der Dauerüberlastung kreativ sein?

Ich versteh’s nicht.

Aber, liebe Bloggerinnen da draußen, ihr habt meine tiefe Bewunderung.