Muttersein in den USA: Ein Interview über teure Kitas, in Vollzeit arbeitende Mütter und die Frage nach der Gerechtigkeit im Haushalt

In den USA hat Präsident Biden gerade das Kindergeld eingeführt. Rund 300 Dollar bekommen Eltern im Monat pro Kind. Zunächst nur für ein Jahr, als Teil eines Corona-Hilfspakets. Ein vielumstrittenes Projekt ‑ und für mich ein Anlass zu fragen, wie es auf der anderen Seite des großen Teichs mit der Vereinbarkeit aussieht. Ich spreche mit einer guten Freundin. Kelly und ich kennen uns aus Berlin, mittlerweile ist sie mit ihrer Familie zurück in die USA, nach Michigan, gezogen. Die Fremdsprachenlehrerin und vierfache Mutter hat mir von ihren Erfahrungen berichtet und mir Einblicke in das Leben als Familienfrau in den USA gegeben.

Mein zweites Interview startet mit… Neid. „Meine Eltern sind geimpft und wir können uns ab nächster Woche auch einen Termin machen!“ freut sich Kelly Anfang April. Was das Impfen angeht, sind uns die USA wohl ein gutes Stück voraus. Wie sieht es in Sachen Vereinbarkeit aus?

Kelly, du bist eigentlich Englischlehrerin, betreust aber momentan deine Kinder im Alter zwischen einem und sechs Jahren zuhause – als „Stay at home mum“. Ist das Thema „Job“ für dich im Moment eigentlich relevant?

Klar. Für mich stand immer fest, dass ich nach den Geburten meiner Kinder wieder arbeiten werde. Aber jetzt, mit vier Kindern, frage ich mich, wie und wann und in welchem Umfang ich wieder in den Job einsteigen kann. Jetzt im Augenblick ist es utopisch.

Warum?

Die Kinderbetreuung („daycare“) ist extrem teuer. Wenn ich drei Kinder in die Kita bringe, müsste ich definitiv Vollzeit arbeiten, damit es sich finanziell lohnt. Das ist aber schwierig, denn unsere älteste Tochter ist ja schon in der Schule – und die endet um 15.00 Uhr, macht drei Monate Sommerferien und ist bei Schnee geschlossen. Und auch wenn die Kinder krank sind, müsste einer von uns zuhause bleiben – und das sind eben meist wir Mütter. Insofern ist es im Augenblick einfacher, wenn ich zuhause bleibe und wir sparsam leben. Für mich passt es im Augenblick auch: Der Alltag mit den Kindern macht mir Spaß.

Daycare in den USA: In Alabama kostet sie 500 Dollar im Monat, in California fast 1000 Dollar und Washington DC über 2.000 US-Dollar im Monat. In vielen Fällen ist die Kinderbetreuung teurer als die Miete.

Quelle: Economic Policy Institute, https://www.epi.org/child-care-costs-in-the-united-states/

Warum ist die Kita so teuer?

Sie ist eben kaum staatlich gefördert. Das schafft viel Ungleichheit. Denn wer viel bezahlen kann, schickt seine Kinder in eine Top-Einrichtung mit gut qualifiziertem und motivierten Personal. Wer weniger gut verdient, muss eine schlechtere Kita wählen. Und es sind ja nicht nur die Kitas, die Eltern viel Geld kosten: Auch die Uni ist unfassbar teuer. Viele Eltern beginnen ab der Geburt des Kindes, für die Hochschule zu sparen. Auch darum arbeiten viele Mütter schnell wieder in Vollzeit.

Wow. In Deutschland arbeitet höchstens ein Fünftel der Frauen mit Kindern unter sechs Jahren mehr als 35 Stunden pro Woche. (Stand 2018[2])

Das ist hier anders. Ich kenne viele Mütter mit Kleinkindern, die in Vollzeit arbeiten.

In den USA arbeiten über 77 Prozent der Mütter mit Kindern unter sechs Jahren in Vollzeit.

Quelle: U.S. Bureau for Labor Statistics, Employment Characteristics of Families Summary (bls.gov)

Wie sieht das Familienleben aus, wenn beide Eltern voll arbeiten? Hier in Deutschland sind Mütter ja stark belastet, weil sie „nebenbei“ einen Großteil der Familienarbeit erledigen.

Die Hausarbeit ist in den meisten Familien auf jeden Fall besser aufgeteilt, als es noch in der Generation unserer Eltern der Fall war. Wenn beide Eltern arbeiten, muss Manches ausgelagert werden. So haben zum Beispiel viele Familien eine Putzkraft. Mittlerweile verstehe ich auch, warum es hier so viele Fast Food-Läden („Take Away“) gibt: Viele berufstätige Eltern bringen das Abendessen einfach auf dem Nachhauseweg mit. Das ist hier wirklich verbreitet.

Umfragen zeigen: Auch in den USA übernehmen die Frauen noch den größeren Teil der Hausarbeit – aber das Verhältnis ist bei weitem nicht so unausgewogen wie hier. Eine Befragung zeigt, dass in 51% der Haushalte die Frau den größten Teil der Putzarbeit übernimmt. 9% der Befragten gab ab, dass der Mann den größeren Teil daran erledigt. Und in 37% ist die Reinigung des Hauses zwischen beiden gleich aufgeteilt.

Quelle: Women Still Handle Main Household Tasks in U.S. (gallup.com)

Steigen Mütter gleich nach der Elternzeit wieder zu 100% in ihren Job ein?

Elternzeit? Hier gibt es keine Elternzeit! Entsprechend fangen viele Frauen nach sechs oder zwölf Wochen wieder zu arbeiten an. Manche sparen ihre Krankentage über das Jahr an, um nach der Geburt mehr Zeit mit ihrem Baby verbringen zu können. Wenn ein Arbeitgeber der Mutter 12 Wochen zuhause ermöglicht, ist das schon sehr gut.

Elternzeit! Gibt’s hier nicht! Wenn eine Mutter 12 Wochen zuhause bleiben kann, ist das schon sehr gut.

Wow. Keine Elternzeit. Immense Kosten. Der Druck, Vollzeit zu arbeiten – das macht ja nicht gerade Lust auf Familie…

Kelly lacht. Ja. Es ist sehr teuer, Kinder zu haben. Trotzdem ist es für die meisten jungen Menschen ihr großer Wunsch.

Vielen Dank für das Gespräch!

Mich erfüllt das Interview für einen kurzen Moment mit Dankbarkeit. Hier in Deutschland gibt es – zumindest in der Theorie – deutlich mehr unterstützende Strukturen für Familien: den Rechtsanspruch auf zeitlich begrenzte Teilzeit. Elterngeld. Mutterschutz. Familienversicherung. Bezahlbare Kitas (über die Qualität lässt sich diskutieren). Trotz all dieser Strukturen ist die Vereinbarkeit in Deutschland keine Erfolgsstory. Warum bloß? Ich werde weiter fragen.

Spannend finde ich, dass Kelly und ich trotz völlig unterschiedlicher Rahmenbedingungen im Augenblick ein ähnliches Modell leben: Wir sind beide zuhause und betreuen unsere Kinder, während unsere Männer voll berufstätig sind. Wir sind beide Akademikerinnen und lieben unsere Jobs (von weitem). Aber: Anders als Kelly habe in Deutschland einen Anspruch darauf, in Teilzeit wieder ins Berufsleben einzusteigen und die Stundenzahl nach und nach hochzuschrauben. Und verschulden muss ich mich für ihre Ausbildung auch nicht. Immerhin.

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[2] Quelle: Bundesministerium für Familie: (Existenzsichernde) Erwerbstätigkeit von Müttern. Konzepte, Entwicklungen und Perspektiven: (Existenzsichernde) Erwerbstätigkeit von Müttern (bmfsfj.de). Stand 2018. Die Zahlen entstammen einer Mikrozensussonderauswertung, Berechnung Prognos AG.

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